Erzählungen aus 1001 Nacht
Wer kennt sie nicht, die Geschichten der Scheherazade, die in 1001 Nacht
Märchen erzählte, um ihr Leben zu retten ...
Ein sehr bekannter Schriftsteller des Orients ist Khalil Gibran (1883-1931).
Hier ein paar Auszüge aus seinen Geschichten.
mein Lieblingsgedicht von Khalil
Gibran:
Die Tänzerin
An den Hof des Fürsten Birkasha kam einst eine Tänzerin, von Musikanten
begleitet. Sie erhielt die Erlaubnis auftreten zu dürfen. Den Flammentanz
tanzte sie und den Tanz der Schwerter und Speere. Sie tanzte den Sternentanz und
den Tanz des Universums. Und schließlich tanzte sie den Tanz der Blumen im
Wind. Danach stand sie vor dem Thron des Fürsten und verneigte sich. Der Fürst
bat sie näherzutreten und er sprach zu ihr: „Schönes Weib, Du Tochter von
Anmut und Wonne, woher stammt Deine Kunst? Wie kommt es, dass alle Kräfte der
Natur in Deine Bewegungen und in Deine Lieder fließen? Wieder verneigte sich
die Tänzerin vor dem Fürsten und antwortete: „Mächtiger und gütiger
Herrscher, ich kenne die Antwort auf Deine Fragen nicht. Ich weiß nur dies: Des
Philosophen Seele wohnt in seinem Haupt, die des Dichters in seinem Herzen, die
Seele des Sängers hält sich irgendwo in seiner Kehle auf - doch der Tänzerin
Seele fließt in ihrem ganzen Körper!
wiederum von Khalil Gibran ein wunderschöne Geschichte:
Von der Liebe
Da sagte Almitra: Sprich uns von der Liebe.
Und er hob den Kopf und sah auf die Menschen, und es kam eine Stille über
sie. Und mit lauter Stimme sagte er:
Wenn die Liebe dir winkt, folge ihr, sind ihre Wege auch schwer und steil.
Und wenn ihre Flügel dich umhüllen, gib dich ihr hin, auch wenn das unterm
Gefieder versteckte Schwert dich verwundern kann. Und wenn sie zu dir spricht,
glaube an sie, auch wenn ihre Stimme deine Träume zerschmettern kann wie der
Nordwind den Garten verwüstet. Denn so, wie die Liebe dich krönt, kreuzigt sie
dich. So wie sie dich wachsen lässt, beschneidet sie dich. So wie sie
emporsteigt zu deinen Höhen und die zartesten Zweige liebkost, die in der Sonne
zittern, steigt sie hinab zu deinen Wurzeln und erschüttert sie in ihrer
Erdgebundenheit. Wie die Korngarben sammelt sie dich um sich. Sie drischt dich,
um dich nackt zu machen. Sie siebt dich, um dich von deiner Spreu zu befreien.
Sie mahlt dich, bis du weiß bist. Sie knetet dich, bis du geschmeidig bist; und
dann weiht sie dich ihrem heiligen Feuer, damit du heiliges Brot wirst für
Gottes heiliges Mahl. All dies wird die Liebe mit dir machen, damit du die
Geheimnisse deines Herzens kennenlernst und in diesem Wissen ein Teil vom Herzen
des Lebens wirst. Aber wenn du in deiner Angst nur die Ruhe und die Lust der
Liebe suchst, dann ist es besser für dich, deine Nacktheit zu bedecken und vom
Dreschboden der Liebe zu gehen in die Welt ohne Jahreszeiten, wo du lachen
wirst, aber nicht dein ganzes Lachen, und weinen, aber nicht all deine Tränen.
Liebe gibt nichts als sich selbst und nimmt nichts als von sich selbst. Liebe
besitzt nicht, noch lässt sie sich besitzen; denn die Liebe genügt der Liebe.
...
(Fortsetzung im Buch „Der Prophet" vom Walter-Verlag ISB N
3-530-26719-8)
Khalil Gibran erzählt vom Frieden:
Friede
Nachdem der Sturm die Äste der Bäume abgebrochen und das Korn auf den
Feldern verwüstet hatte, kam er allmählich zur Ruhe. Am Nachthimmel funkelten
die Sterne wie Splitter von Blitzen, und über allem herrschte Stille. Es
schien, als wäre in der Natur ein Krieg ausgetragen worden.
Um diese Zeit betrat eine junge Frau ihre Kammer, kniete an ihrem Lager
nieder und weinte bitterlich. Ihr Herz war voll Angst, und als sie endlich ihre
Lippen auftat, sprach sie: „O Herr, bringe ihn sicher nach Hause! Ich habe
keine Tränen mehr, Gott der Liebe und der Barmherzigkeit! Meine Ausdauer lässt
nach, und das Unheil sucht Oberhand über mich zu gewinnen. Befreie ihn, Herr,
aus den eisernen Klauen des Krieges und rette ihn vor einem gnadenlosen Tod,
denn er ist schwach und wird von den Mächtigen beherrscht. O Herr, rette ihn
vor dem Feind, der auch dein Feind ist! Halte ihn ab von dem Wege, der zum Tor
des Todes hinführt! Lass mich ihn wiedersehen oder komm und bringe mich zu
ihm!"
Ohne ein Wort zu sprechen, betrat ein junger Mann den Raum. Um seinen Kopf
trug er einen Verband, der mit Blut durchtränkt war. Er näherte sich der
jungen Frau und begrüßte sie mit einem Lächeln unter Tränen. Dann nahm er
ihre Hand, führte sie an seine heißen Lippen, und mit einer Stimme, die alles
vergangene Leid in sich trug, aber dennoch die Freude des Wiedersehens verriet:
„Fürchte dich nicht vor mir! Ich bin der Gegenstand deiner Bitte. Freue dich,
denn der Friede hat mich dir wiedergegeben, und die Menschheit hat das
zurückbekommen, was ihr die Gier entreißen wollte. Sei nicht mehr traurig,
sondern lächle, meine Geliebte! Lasse dich nicht verwirren, die Liebe verfügt
über eine Kraft, die den Tod vertreibt; und sie besitzt einen Zauber der den
Feind besiegt. Ich bin es wirklich, dein Geliebter. Glaube nicht, dass ich nur
ein Trugbild bin, das sich aus dem Haus des Todes aufmachte und der Heimat der
Schönheit einen Besuch abstattet.
Fürchte dich nicht, ich bin die Wirklichkeit, die ohne Feuer und Schwert
gekommen ist, um den Menschen vom Triumph der Liebe über den Tod zu berichten.
Ich bin das Wort, das den Beginn von Frieden und Glück verheißt."
Der junge Mann verstummte, und anstelle seiner Worte sprachen nun die Tränen
seines Herzens. Die Engel der Freude schwebten über dem Haus, und zwei liebende
Herzen wurden wieder eins.
Als es dämmerte, gingen die beiden hinaus auf die Felder. Sie betrachteten
die Schönheit der Natur, die vom Sturm angeschlagen war. Nach einer Weile des
Schweigens blickte der Soldat nach Osten und sprach zu seiner Geliebten: „Sieh
nur, die Dunkelheit bringt die Sonne hervor."
(aus „Gib mir die Flöte und lass mich singen" von Khalil Gibran,
Heyne-Verlag ISB N 3-453-06090-3)
einige sehr schöne Verse über den Tanz:
Oh, du Jasminblüte und deine erdhafte Harmonie,
deine Hüfte kreisen und es vibrieren deine Schultern
und deine Hände erinnern an die Flügel von Vögeln.
Tanze und drehe dich, von einem Stern zum anderen,
von meinen Augäpfeln bis hin zur Sonne.
Der Nabel deines mit Blumen umkränzten Bauches ist das Zentrum des
Universums.
Trunken um deinen Bauch gaukeln die Sterne,
der Mond lacht und tanzt auf den Bergen
und deine Haare wehen im würzigen Wind.
Jedes Mal, wenn deine Hüften schwingen, verlängert sich mein Leben um
tausend Jahre,
jedes Mal, wenn deine Hüften pendeln, tanzen tausend Kinder mit dir den
Reigen.
Bei jeder Drehung fliegen Blütenblätter ins All und verwandeln sich in
Kinder, deren jauchzende Schreie den Himmel erfüllen.
(von leider unbekannten arabischen Dichtern)